1969 | 75 Jahre NRZ | Zeitungsseiten

Fernsehen Konnte das Volk den Bun- despräsidenten auch nicht selbst wählen, so durfte es doch ausgiebig zuschauen. Wer Zeit und Lust hatte, konnte sich gestern einen ganzen Tag lang per Fernsehen unter die Prominenz mischen. Ganz pikant war, daß das zweite Programm bereits die Wahl Gustav Heinemanns be- richtet hatte, als im ersten noch ein Programmfüllsel lief: Schröder in allen Lebenslagen. Tja, warum soll nicht mal das Zweite das erste sein? auf einen Blick Zwei Männer wurden im Südje- men zum Tod durch den Strang verurteilt, während fünf ebenfalls wegen staatsfeindlicher Tätigkeit Mitangeklagte jeweils 15 Jahre Zuchthaus erhielten. Verjährungsfrist Die Aufhebung jeder Verjäh- rungsfrist für Kriegsverbrechen hat die Sowjetunion vor der UNO- Menschenrechtskommission gefor- dert Starfighter-Absturz Bei Roth (Ulm) stürzte gestern ein Starfighter ab, der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten; damit verlor die Luftwaffe ihre 92. Maschine dieses Typs. Warnstreik Rund 5000 Arbeiter der Thyssen- Röhrenwerke in Mülheim traten in einen einstündigen Warnstreik, um gegen die bevorstehende Ver- einigung der Röhrenwerke von Thyssen und Mannesmann zu pro- testieren. Todesurteile Das waren die drei Wahlgänge 1. Wahlgang 2. Wahlgang 3. Wahlgang Abgegebene Stimmen 1023 1023 1023 Für Heinemann 514 511 512 Für Schröder 501 507 506 Enthaltungen 5 5 5 Ungültige 3 —— Barrieren und bewaffnete DDR-Grenzsoldaten am Kontrollpunkt Babels- berg. Die Zufahrtswege nach Berlin waren gestern für mehrere Stunden gesperrt. NRZ-Funkfotos: dpa/UPI Gute Chancen für Flug der Mondfähre NRZ-Nachrichtendienst Houston. Die Chancen für den ersten selbständigen Flug des Apollo-Mondlandefahrzeuges im Weltraum am Freitag sind gestern gestiegen. Zum erstenmal wurde eines der Triebwerke der Fähre erfolgreich gezündet. Allerdings war die „Spinne“ noch mit der Raumkapsel Apollo 9 fest ver- bunden Die Astronauten Schweickart und McDivitt waren gestern in die Mondfähre umgestiegen. Ein Un- wohlsein Schweickarts, das Be- fürchtungen für die Weiterführung des heutigen Programms ausge- löst hatte, war gestern abend offen- bar wieder abgeklungen. Heute soll Schweickart aus der Mondfähre aussteigen und sich im Raum zur Apollo-Kapsel zurückhangeln. Das Außenbordmanöver wird im Fern- sehen übertragen (s. Buntes Leben). und Drewitz vor Berlin von acht bis elf Uhr und von 14 bis 18 Uhr völlig gesperrt. Von 14 bis 18 Uhr war auch der Kontrollpunkt Staaken, über den die Straßenverbindung von Hamburg über Lauenburg nach Westberlin führt, gesperrt. Rei- sende nach Berlin wurden je- doch am westlichen DDR-Kontroll- punkt dieser Strecke bei Horst ebenso wie am Übergang Rudolph- stein/Hirschberg an der Interzonen- autobahn München—Berlin den ganzen Tag über abgefertigt. Luftverkehr ungestört Auf der südlichen Interzonenauto- bahn wurden Kraftfahrer jedoch, wie sie nach ihrer Ankunft berich- teten, verschiedentlich von der Autobahn auf Landstraßen umge- leitet. Dasselbe meldeten auch In- terzonenreisende, die die Strecke über Herleshausen/Wartha benutz- ten. ln Wartha wurde von 16 Uhr an nicht mehr abgefertigt. Im Luftverkehr hat es keine Stö- rungen gegeben. Die Reisenden in Interzonenzügen wurden normal abgefertigt. Der Binnenschiffsver- kehr nach Berlin ruht seit Wochen wegen der Eislage. CSLL Vorsitzender Strauß: „Die Entscheidung ist gefallen. Die CSU hofft, daß der Politiker Heinemann aus der Vergangenheit gelernt hat. Im übrigen handelt es sich nicht um eine glorreiche Ent- scheidung. Sie ist ein interessanter Hinweis auf die Rolle der FDP als Zünglein an der Waage.“ Siehe auch Kommentar Schon bald Rücktritt als Bundesjustizminister Willy Brandt würdigte Standhaftigkeit der FDP Von HORST BUSCHER Berlin. Der neugewählte Bundespräsident Dr. Heinemann, der erst am 1. Juli sein Amt antritt, wird bereits in Kürze von seinem Posten als Bun- desjustizminister zurücktreten und seine Parteifunktionen in der SPD, derem Vorstand er angehört, niederlegen. In einer kurzen Ansprache vor der SPD-Fraktion der Bundesver- sammlung bat er ferner um Ver- ständnis, daß er auch schon an dem Mitte April in Bad Godesberg staltfindenden Bundesparteitag der SPD nicht mehr als Delegierter teilnehmen wolle. Der SPD-Vorsitzende, Bundes- außenminister Willy Brandt, wür- digte nach einer stürmischen Be- grüßung für Heinemann auch die Standhaftigkeit der FDP, in drei Wahlgängen überwiegend für Hei- nemann gestimmt zu haben, als ein Zeichen der Normalisierung des politischen Denkens in unserem Lande. Bundesaußenminister Brandt: „Der neugewählte Bundespräsi- dent Heinemann wird für den in- neren Ausgleich im Volke sorgen. Die Wahl Heinemanns ist von gro- ßer Bedeutung, und sie hat eine gute Wirkung nach außen, die allen zugute kommt.“ FDP-Vorsitzender Scheel: „Der Wahlausgang beweist, daß die Haltung der FDP völlig ihren Beschlüssen entspricht, die sie am Abend vor der Wahl getroffen hat. Bei Heinemann ist die Gewähr ge- geben, daß er einen modernen, de- mokratischen Staat repräsentiert. Nach dieser Entscheidung der Bun- desversammlung hat die FDP ein Gefühl des gefestigten Selbstbe- wußtseins gewonnen.“ Interzonenverkehr mehrfach blockiert NRZ.Nachrichtendtenst Berlin/Helmstedt. Die Störungen des Interzonenverkehrs durch die DDR-Behörden haben gestern, am Tag der Bundespräsi- dentenwahl in Berlin, ihren Höhe- punkt erreicht. Zum erstenmal während des neuesten Nervenkrieges waren die Straßenverbindungen Westberlins zum Bundesgebiet vier Stunden lang gesperrt. Schon am Vormittag war der Verkehr auf der wichtig- sten Straßenverbindung, der Inter- x.onen a utobahn Berlin—Helmstcd t in beiden Richtungen für drei Stunden unterbrochen worden Die Autobahn Berlin—Helmstedt war an den beiden DDR-Kontroll- stellen Marienborn bei Helmstedt Dr. Gustav Heinemann Von MARTIN BERNSTORF (Seite 3) NRZ-Porträt: NRZ-Lexikon: Die früheren Wahlen (Seite 3) Wahlschlacht dauerte acht Stunden Reportage Von HILDE PURWIN (Seite 3) Sowjetische Panzer neben der Autobahn Eine Fahrt von Berlin nach Helmstedt (Seite 2) Das erste Bild nach der Wahl NRZ-Funkdienst: ap-fo%ofax „Nachdem die Bundesversamm- lung Ihnen ihr Vertrauen ausge- sprochen und Sie in das Amt des Bundespräsidenten berufen hat, übermittle ich Ihnen meine besten Grüße und Glückwünsche. Es ist mein herzlicher Wunsch, daß diese Entscheidung sich zum Wohle un- seres Volkes und unseres Staates auswirkt. Mögen Ihnen Gesundheit, geistige und physische Kraft erhal- ten bleiben, damit Sie in diesem schweren Amt erfolgreich wirken können. Ihr Heinrich Lübke.“ (Als Telegramm) Dr. Gerhard Schröder (CDU): „Ich wünsche, daß diese Wahl zum Besten unseres Landes aus- schlägt.“ Der Minister trug die knappe Niederlage mit Gelassen- heit. „So etwas kommt vor. man muß dieses demokratische Ergebnis respektieren“, sagte er. Bundeskanzler Kiesinger „Ich wünsche Dr. Gustav Heine- mann für sein Amt und für unser ganzes Volk Glück und Erfolg.“ Kiesinger meinte, daß auch nach der nächsten Bundestagswahl eine Situation eintreten könne, in der „sich die FDP der CDU wieder ver- weigert“. Lesen Sie außerdem zur Präsidentenwahl: Der erste Mann Ein Wort zur Wahl -des neuen Bundespräsidenten Von 3ENS FEDDERSEN (Seite 2) Nach dramatischem Kopf-an-Kopf-Rennen neuer Bundespräsident Gustav Heinemann: Ich grüße alle deutschen Bürger Stimmen zur Wahl Bundespräsident Lübke: Schröder gratulierte als erster Von HILDE PURWIN und GUNTER STREICH Berlin. Der neue Bundespräsident heißt Gustav Heine- mann. Nach einem dramatischen Zweikampf mit Gerhard Schrö- der wurde Heinemann gestern von der Bundesversammlung in Berlin mit sechs Stimmen Vorsprung zum Staatsoberhaupt ge- wählt. Zum erstenmal seit ihrem Bestehen ist ein Sozialdemo- krat an die Spitze der Bundesrepublik gestellt worden. Zum erstenmal ist das höchste Staatsamt mit einem Mann besetzt worden, dessen politische Vergangenheit völlig unbelastet ist und für den keine einzige NPD-Stimme abgegeben wurde. Uber acht Stunden hatten sich die beiden Präsidentschaftskandidaten in der Berliner Ostpreußenhalle ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. Im ersten Wahlgang hatte Heine- mann 514 der erforderlichen abso- luten Mehrheit von 519 Stimmen, Schröder 501 erhalten. Im zweiten Wahlgang verringerte sich der Ab- stand zwischen Heinemann und Schröder auf 511 zu 507 Stimmen. So wurde zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ein dritter Wahlgang bei der Wahl des neuen Staatsoberhauptes erforder- lich. Am Abend konnte Bundestags- präsident von Hassel dann das Er- gebnis des dritten Wahlgangs ver- künden. Aus den Reihen der SPD und FDP erhielt Dr. Heinemann lang anhaltenden Beifall. Als erster eilte Bundesverteidigungsminister Schröder zu Heinemann, um ihm zu seinem Sieg zu gratulieren. Den ersten Blumenstrauß erhielt Frau Hilda Heinemann: Maiglöck- chen von einer unbekannten Frau. Hilda Heinemann hatte mit Tochter und Sohn von 9.30 Uhr am Morgen ausgeharrt. 18.32 Uhr. Johannes Rau ruft: „Halleluja, Landesmutter!“ Sohn Peter küßt seine Mutter: „Mütter- chen, das freut mich auch für dich!“ Die Tochter nimmt inzwischen die Glückwünsche von Günter Grass entgegen, und die Frau von Propst Grüber, an diesen Tagen in Berlin ständige Begleiterin der Heine- manns, ist dem Weinen noch näher als Frau Hilda, die seit diesem Augenblick die First Lady der Bundesrepublik ist. Dank für das Vertrauen Unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses trat Gustav Heinemann vor und erklärte nach Befragung durch Bun- destagspräsident von Hassel, daß er das Amt annehmen werde. Dann richtete er folgende Worte an die Bundesversammlung: „Ich danke denen, die mich gewählt haben, für ihr Vertrauen. Denen, die eine andere Wahlentscheidung getroffen haben, be- kunde ich meinen vollen Respekt. Ich hoffe, daß es auch mit ihnen zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit kommt. Es ist jetzt nicht angebracht, mehr zu dem mich auch persönlich bewegen- den Ereignis zu sagen. Dies muß zurückgestellt werden bis nach dem Amtswechsel. Ich danke Ihnen und grüße alle deutschen Bürger.“ Erster Gratulant: Gerhard Schröder NRZ-Funkbild: dpa-UFI

RkJQdWJsaXNoZXIy MjExNDA4